Remo Largo Abschied

Herzensmensch

Remo Largo Abschied

„Wann beginnt ein Kind zu lesen?“, war die Frage einer Mutter an einem Vortrag von Remo Largo, dem wohl bekanntesten Kinderarzt, Entwicklungspädiater und Bestsellerautor. „Irgendwann zwischen 3 Jahren und 13 Jahren. Da wäre es zu erwarten.“, antwortete er darauf der Mutter. Das Publikum lachte, und die Mutter fühlte sich nicht ganz ernst genommen. Dass es jedoch genau so ist, dies konnte Remo Largo aufgrund all seiner fundierten Arbeiten und (Langzeit-)Studien aussagen. Und genau dies zeigt auf, wie unterschiedlich wir Menschen von klein auf sind und wie verschieden schnell oder langsam wir uns entwickeln.

Remo Largo

Wenn ich Remo Largo sah, diesen zierlichen, besonnenen, menschlichen und warmherzigen Mann, ihn hörte oder seine Bücher las – ging mir das Herz auf. Dadurch, dass er mit seiner glasklaren und unmissverständlichen Weise aufzeigte – immer und immer wieder – dass Kinder auch Menschen sind, steckte er Generationen von Eltern an – mit Mut, in Beziehung zu gehen mit ihren Kindern. Statt sie erziehen und formen zu wollen. Er plädierte dafür, dass Jenes bereits im Kind Angelegte genau dasjenige ist, was förderlich zu begleiten gilt, welches anzunehmen und zu feiern gilt.

Ich erinnere mich an viele Auftritte von ihm, an denen ich dabei sein konnte. Er faszinierte mich immer wieder mit seiner vollkommen ruhigen, überzeugten und souveränen Wesensart. Ich hing an seinen Lippen und konnte seine Liebe und Verbundenheit zu den Kindern sowie den Jugendlichen förmlich spüren. Mich hat er angesteckt mit seinem fundierten Wissen, seiner Sichtweise und seiner durch und durch echten sowie eindringlichen und dennoch so liebenswerten Art.

Remo Largo ist am 11. November, letzten Mittwoch, im Alter von 76 Jahren gestorben. Ich bin tieftraurig. Mir fällt der Abschied schwer.

Ohne sein Buch „Babyjahre“ hätte ich meine Tochter vermutlich mit anderen Augen gesehen. Mir half dieses Werk, nicht zu vergleichen, sondern anzunehmen, mein Kind als einzigartig zu betrachten und in Beziehung zu gehen mit diesem kleinen Menschen. Es half mir zu verstehen, welche Bedürfnisse Babys haben – und dass es unverzichtbar ist, mich auf diese einzulassen, damit mein Kind Geborgenheit und Verbundenheit erfahren kann.

Aber auch sein Buch „Schülerjahre“ empfand ich als einen so wichtigen Weckruf. Remo Largo zeigte darin glasklar und eindrücklich auf, wie verschieden unsere Kinder sind, welch grosse Entwicklungsunterschiede selbst bei Gleichaltrigen bestehen, und dass 90 Prozent eines gelingenden Schulalltags von der Beziehungskompetenz der Lehrperson abhängt. Denn erst wenn sich ein Kind ernst genommen und akzeptiert sowie aufgehoben fühlt, kann es sein Potenzial entfalten. Mit Wegbegleitern wie Jesper Juul und Gerald Hüther und vielen Anderen gelang es, eine Bewegung entstehen zu lassen, die viele, viele Eltern, Lehrpersonen und Instutitionen aufrüttelte und zum Umdenken anregte.

Mich hat ebenso sein Buch „Jugendjahre“ gefesselt. Auf eine so respektvolle und ernstnehmende Weise untermauert Remo Largo darin seine fundierten Untersuchungen der pubertären Entwicklung mit seinen so gut verständlichen und ausführlichen Erklärungen. Mit seiner sensiblen und einfühlenden Art zeigt er auf, dass es nichts zu tun gibt als Eltern und Erwachsene in dieser Zeit – ausser da zu sein und unsere Jungen zu würdigen und ihnen beizustehen. Sowie sie zu ermutigen. Dafür liebe ich Remo Largo. Für diesen glasklaren und so feinfühligen Blick auf unsere Babys, Kinder und unsere Jugendlichen.

In seinem letzten Buch „Zusammen leben“ resumiert Remo Largo ein letztes Mal. Seine Grundthese, die er das Fit-Prinzip nennt, basiert auf folgender Annahme: Jeder Mensch strebt danach, mit seinen individuellen Grundbedürfnissen, Begabungen und Vorstellungen in Übereinstimmung mit der Umwelt zu leben. In diesem Zusammenhang versteht er auch die aktuelle gängige Lebensform der Kleinfamilie als nicht zukunftsdienlich. Er plädiert in diesem Buch an die Gesellschaft, neue gemeinschaftliche Formen des Zusammenlebens dem Modell der Kleinfamilie vorzuziehen. Durch das Vorleben von anderen Erwachsenen aber insbesondere auch anderer Kinder würden die kleineren Kinder automatisch in die Gemeinschaft hineinwachsen und die älteren nachahmen und somit ihren Teil, z. B. Aufgaben automatisch übernehmen. Und die Eltern würden durch diese neue Form entlastet. Aus meiner Sicht, fachlich aber auch persönlich, wäre diese Variante vermutlich durchaus ein Weg raus aus der Isolation hin zu einem Modell, welches Entwicklung, Entfaltung, Entlastung sowie soziale Verantwortung fördert – individuell und persönlich sowie gesamtheitlich.

Die Werke von Remo Largo werden mich weiterhin begleiten. Ich werde sie weiterhin den Eltern, die zu mir kommen empfehlen, und in meinem Herzen wird er weiterbestehen und meine Arbeit mit Eltern und Familien – allen Menschen bereichern. Weil Menschen wie er und ebenso Jesper Juul, die so bestrebt darin waren, den Eltern unserer Zeit Mut zu machen, zu ihren Kindern zu stehen und sie in liebevoller Weise zu begleiten so unendlich wichtig waren.

Von ganzem Herzen vielen, vielen Dank für dieses wertvolle Lebenswerk, Remo Largo.

In grosser Verbundenheit mit Remo Largo und seiner Familie. Möge er in unseren Herzen weiterleben.

Susanne

 

Buchtipps, eine Auswahl von Buchtiteln von Remo Largo

  • Babyjahre
  • Kinderjahre
  • Glückliche Scheidungskinder
  • Schülerjahre
  • Jugendjahre
  • Zusammen leben

 

Die nächsten Kurse und Angebote:

Mo 23.11.2020, 19.30–21.00 Uhr, ONLINE-Referat: Gelingende (Familien-) Kommunikation – wie geht das?

Mo 30.11.2020, 9.00–11.00 Uhr, ONLINE-Elternkreis @Rosenegg

Di 12.+19.1.2021, 19.30–21.30 Uhr, ONLINE-Workshop „Gelingende Paar-Kommunikation“

Mo 25.1.2021, 20–22 Uhr, ONLINE-Workshop „Aggression – Wie gehe ich mit diesem starken Gefühl um?“