Wenn schnelle Lösungen zu Konflikten führen: Bedürfnisse erkennen

Wenn schnelle Lösungen zu Konflikten führen: Bedürfnisse erkennen

Wenn schnelle Lösungen zu Konflikten führen: Bedürfnisse erkennen

Als Mutter und Vater wissen Sie: Im Alltag mit Kindern sind ständig gute und schnelle Lösungen gefragt. Dabei passiert es schnell, dass wir Lösungen finden, die zwar für uns stimmen, nicht aber für den Partner oder die Kinder. Familienberaterin Susanne Schultes erklärt, wie Sie Konflikte lösen, ohne dass jemand zu kurz kommt. Von Susanne Schultes (18.2.2021) Bild: Halfpoint, Getty Images

Ob bei Paaren oder in der Familie: Konflikte und Missverständnisse entstehen meist dann, wenn verschiedene Bedürfnisse aufeinanderprallen. Mein Kleinkind hat beispielsweise Hunger und möchte etwas essen. Ich als Mutter brauche aber gerade eine Ruhepause, nachdem ich mein Baby gewickelt und gestillt habe. So passiert es schnell, dass wir ein Verhalten eher als «Störung» des eigenen Friedens wahrnehmen, statt uns für die unbefriedigten Bedürfnisse des Gegenübers zu interessieren.

Hinzu kommt, dass wir unsere eigenen ungestillten Bedürfnisse oft nicht wahrnehmen und kaum in Worte fassen können. Wir Menschen befinden uns naturgemäss im ständigen Spannungsfeld zwischen dem Verlangen nach Autonomie und dem Bedürfnis nach Zugehörigkeit und Gemeinschaft. Konflikte sind also unvermeidbar. Wichtig ist nur, wie man sie löst.

Die Pyramide der Bedürfnisse

Bereits der Humanpsychologe Abraham Maslow (1908 bis 1970) war sich dieses Spannungsfeldes bewusst. Er interessierte sich für die Zusammenhänge der Befriedigung und Erfüllung von Bedürfnissen eines Menschen und einem gelingenden Leben. Seine Frage lautete: «Wie können Menschen das Beste aus sich herausholen?» Er studierte unter anderem die Lebensläufe vieler erfolgreicher Menschen wie Albert Schweizer oder Franklin Roosevelt. Dabei stellte er fest, dass sämtliche Lebensläufe übereinstimmten mit seiner Theorie: dass nämlich jeder, der die fünf Ebenen der Bedürfnisse erfüllen konnte oder erfüllt bekam, sich selbst verwirklichte. Auffällig war, dass dieselben Persönlichkeiten gute Beziehungen führten und allesamt sozial bestens eingebunden waren. Im Gegenzug dazu führten Entbehrungen und Nichtbefriedigung dieser Bedürfnisse zu Verhinderung oder zum Stillstand persönlicher Entwicklung.

Die fünf Ebenen der maslowschen Pyramide beinhalten folgende Bedürfnisse:

Die Pyramide der Bedürfnisse

Wenn Lösungen Bedürfnisse übergehen

Um also «das Beste aus sich herauszuholen» und ein erfülltes Leben zu führen, müssen diese Bedürfnisse wahrgenommen und bestmöglich erfüllt werden. Anstatt jedoch auf unsere Bedürfnisse zu hören, stürzen wir uns im Zusammenleben oft auf Lösungen, die unserem Verlangen gar nicht gerecht werden – und vergessen dabei oft, dass auch das Gegenüber Bedürfnisse hat.

Hierzu ein Beispiel: Ein Familienvater entschied, seine Tochter zum Eislaufunterricht zu fahren, damit seine Frau eine kurze Auszeit zu Hause hat. Im Nachhinein meint der Vater in einem meiner Workshops: «Ich entschied mich für diese aus meiner Sicht einzig richtige Lösung – mit gutem Gewissen. Leider – so stellte sich später heraus – entsprach meine Lösung ganz und gar nicht dem aktuellen Bedürfnis meiner Frau.» Diese wäre nämlich liebend gerne etwas Auto gefahren, um kurz Abstand zum Haushalt, der Wäsche und dem Abendessen zu erhalten.

In diesem Szenario wäre es hilfreich gewesen, wenn der Vater seine Frau vorab gefragt hätte, ob es ihr wirklich entgegenkommt, wenn er die Tochter zum Eistraining fährt. Dann hätte sie ihre Bedürfnisse ansprechen können und gemeinsam hätten sie eine Lösung gefunden.

Ein Beispiel aus dem Homeoffice-Corona-Familienleben

Ein weiteres Szenario: Ich kündigte eines Morgens meinem zu Hause arbeitenden Mann an, dass ich für mittags Pizza bestellen würde. Er, der gerade am Vortag mittags Pizza gegessen hatte, war davon nicht begeistert. Also liess ich die Idee fallen und nahm mir vor, früher zuhause zu sein und für die Familie zu kochen. Ausgerechnet an dem Morgen dauerte ein Termin länger, ich musste schnell nach Hause hetzen und in Windeseile eine Mahlzeit zubereiten. Ich war stinksauer auf meinen Mann. Als er mir rückmeldete, dass er gar nicht verstehe, warum ich so grantig zu ihm sei, ging mir ein Licht auf! Weder hatte ich hinterfragt, was das dahinterliegende Bedürfnis meinerseits war, also weswegen ich gerne den Pizzalieferdienst in Anspruch genommen hätte, noch habe ich ihm dies kommuniziert. Der Pizzalieferdienst war also schlicht eine Lösung.

Das Beispiel zeigte mir auf, wie es eben genau zu diesen Konflikten kommen kann. Was hätte stattdessen geholfen?

1 Mir hätte es geholfen, wenn ich mehr Klarheit über mein Bedürfnis nach Entlastung am Mittag gehabt hätte, so dass ich nicht in diesen Stress gerate.

2 Es wäre wichtig gewesen, meinen Mann über mein Bedürfnis zu informieren – die Lösung dazu, also den Pizzalieferdienst, hätte ich ebenso erwähnen können.

3 Mittels meiner Achtsamkeit, meiner Selbstempathie sowie meiner Dialogfertigkeit wären wir zu einer Lösung gelangt, die mein Bedürfnis befriedigt und die für meinen Mann ebenso gestimmt hätte.

„Sobald wir uns nicht ausschliesslich auf vorgefertigte Lösungen, sondern mehr auf die Bedürfnisse dahinter konzentrieren, werden mehrere Lösungen möglich und Flexibilität und Zufriedenheit werden erhöht.“

Durch die neue Vielfalt an Möglichkeiten werden Beziehungen gestärkt, Ideenreichtum und Mithilfe des Gegenübers werden gefördert. Somit entsteht eine neue Wertschätzung, die einander näherbringt und ein tieferes gegenseitiges Verständnis fördert.

Wichtig dabei ist die Art und Weise, wie wir miteinander kommunizieren und uns in das Gegenüber einfühlen. So vermeiden wir die Rollen des Machthabers und des Befehlsempfängers. Entscheidend ist, dass die Bedürfnisse des Gegenübers erkannt und verstanden werden. Das öffnet den Weg für verschiedene Lösungen, die im besten Falle für alle passen.

Link zum Artikel auf familienleben.ch

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Die nächsten Kurse und Angebote:

Do 24.2.2020, 19.30–21.00 Uhr, ONLINE Referat: Gelingende (Familien-) Kommunikation – wie geht das?

Sa 13.3.2021, Kursstart, samstags 9.30–16.30 Uhr, ONLINE Gelingende (Familien-) Kommunikation – Das Training

Mi 24.3.2021, 20–22 Uhr, ONLINE Workshop „Aggression – Wie gehe ich mit diesem starken Gefühl um?“