Funkstille? Wenn Eltern unter dem Liebesentzug ihrer Kinder leiden

Funkstille? Wenn Eltern unter dem Liebesentzug ihrer Kinder leiden

Sie haben das Gefühl, bei Ihnen zuhause wohnt ein fremdes Kind? In der Pubertät ziehen sich viele Jugendliche zurück. Als Eltern hat man da schnell das Gefühl, nicht mehr an sein Kind heranzukommen. Familienberaterin Susanne Schultes erklärt, wie Eltern mit dem Liebesentzug klar kommen und ihr Kind neu kennenlernen. Von Susanne Schultes (5.11.2020) Bild: GettyImages Plus, MStudioImages

Meine Mission an diesem Abend: Ein Gespräch mit der Teenager-Tochter – zurzeit nicht immer ein einfaches Unterfangen. Heute aber hatte ich mir vorgenommen, mir vor dem Nachtessen Zeit für Sie zu nehmen und nachzufragen, wie es ihr geht. So klopfte ich an ihre Zimmertür, bat sie darum, reinkommen zu dürfen. Nach einem kurzen «okay» ihrerseits nahm ich auf ihren Schreibtischstuhl Platz, während sie im Bett Sonnenblumenkerne schälte und ass. Ich widerstand meinem Impuls, ihr sofort Fragen zu stellen und sass eine ganze Weile einfach da . Kein «Frage-Antwort-Spiel», sondern einfach ein gemeinsames Innehalten. Und siehe da – plötzlich begann sie zu erzählen und ich hörte aufmerksam zu.

Verunsicherte Eltern, aufmüpfige Kinder

Teenager, ziehen sich zurück, kapseln sich von den Eltern ab. Das ist rein entwicklungsbedingt und nichts Ungewöhnliches. In dieser Zeit der Veränderungen erleben die Jugendlichen einen ungeheuren Wandel, sei es emotional und seelisch wie auch körperlich und sozial. Innere Verunsicherung und Selbstzweifel sind meist die Begleiterscheinungen, unter denen die Jungen oft leiden.

Eine intensive und fragile Zeit der Selbstfindung und der Auseinandersetzung mit sich selbst beginnt. Es ist die Zeit, sich zu positionieren und seinen Platz in Gruppen von Gleichaltrigen zu finden. Und auch wenn uns Eltern das bewusst ist, es verunsichert uns.

Vermehrt erlebe ich in meinen Beratungen und meinen Kursen, dass Eltern sehr verunsichert sind, wenn sie immer weniger «an ihr Kind ranzukommen» scheinen. Sie beklagen sich darüber, nichts vom Alltag mehr mitzubekommen und fühlen sich dadurch oft sehr zermürbt und machtlos. Eltern erleben diese Distanzierung ihrer Kinder oft als Liebesentzug und allenfalls eben auch als Kontrollverlust. Denn viele Eltern nehmen ihre Kinder in dieser Zeit nicht nur als abweisend, sondern auch als frech und aufmüpfig wahr.

Verzichten Sie auf die Moralpredigt

Nehmen Sie das Verhalten Ihres Teenies nicht persönlich, und tappen Sie jetzt nicht in die Erziehungsfalle. Vermeiden Sie es, Moralpredigten abzuhalten und an den Verstand ihres Jugendlichen zu appellieren. Seien Sie sich stattdessen bewusst, dass die Basis der Beziehung zu Ihrem Kind längst geschaffen wurde. Und vertrauen Sie in diesem Moment darauf, dass die Beziehung dieser Phase standhält. Seien Sie stattdessen souverän und atmen Sie einige Male tief ein und aus. Schaffen Sie so Distanz. Vor allem aber: Lassen Sie ihr Kind wissen, dass Sie weiterhin für es da sind. Das grösste Geschenk, was sie in einem solchen Fall Ihrem Kind machen können ist, nicht zu urteilen.

Was können Sie dafür tun, um mit Ihrem Kind in Kontakt zu bleiben? Machen Sie sich bewusst, dass ein Rückzug Ihres Kindes nicht gegen Sie gerichtet ist, sondern Ihr Kind einen wichtigen Entwicklungsprozess durchlebt, ähnlich, wie Sie selbst es vielicht auch in Ihrer Pubertät erlebten. So signalisieren Sie ihrem Kind, dass Sie da sind für es. Und überlassen Sie dabei die Entscheidung Ihrem Kind, ob es sich Ihnen anvertrauen will.

5 Tipps im Umgang mit Teenagern

  1. Akzeptieren Sie ihr Kind genauso, wie es gerade ist. Und ganz wichtig: Nörgeln Sie nicht an ihm herum.
  2. Achten Sie darauf, auch mit anderen Erwachsenen nicht abfällig über Ihr Kind oder über die Pubertät zu sprechen. Halten Sie Ihrem Kind stattdessen die Stange.
  3. Achten Sie auf die Dinge, die Ihnen Freude bereiten. Zum Beispiel, dass Ihr Kind sich bei der Lehrstellensuche so engagiert oder es sich so pflichtbewusst auf eine Prüfung vorbereitet. Vielleicht hat Ihr Kind gerade grosse Freude an einer Sportart. Geniessen Sie diese Seiten Ihres Kindes.
  4. Geniessen Sie vermehrt Ihre Zeit mit Ihrer Partnerin/Ihrem Partner. Nun tun sich auch neue Möglichkeiten auf. Üben Sie sich im «Loslassen.»
  5. Pflegen Sie Ihre Hobbys und nehmen auch Sie sich Auszeiten von der Familie, um sich zu stärken und vielleicht zu neuen Sichtweisen zu gelangen.

 

Buchtipps für alle, die mehr wissen wollen: Remo Largo – Jugendjahre, Jesper Juul – Pubertät, Thomas Gordon – Gute Beziehungen

Wollen Sie mit ihrem Kind ins Gespräch kommen?

Sie haben leider keinerlei Anspruch darauf, dass Ihr Kind sich Ihnen anvertraut. Deshalb ist es umso wichtiger, nicht zu fordern, sondern zu signalisieren: «Ich bin da, ich interessiere mich für dich und dein Befinden. Wenn du magst und dir danach ist, darfst du mir gerne etwas erzählen. Dies ist eine Einladung und du entscheidest, ob du sie annimmst. Dies ist dein Raum und deine Zeit.» Was Sie noch tun können: Schweigen Sie und nehmen Sie sich selbst zurück und kommen Sie selbst zur Ruhe ganz nach dem Motto: «Reden ist Silber, Schweigen ist Gold.» Es ist oft erstaunlich, was dann passiert.

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