Aktives Zuhören – Von Mensch zu Mensch da sein

Aktives Zuhören – Von Mensch zu Mensch da sein

Am letzten Kurssamstag des Gordon-Familientrainings beschäftigten wir uns mit folgender Frage: Wie kann ich wertvoll und hilfreich sein für mein Kind oder für ein anderes Gegenüber, wenn es ein Problem hat?

Zunächst fällt es uns oft schwer, den Anderen – insbesondere unser Kind – überhaupt zu akzeptieren mit einem Problem. Woher kommt das, fragen wir uns? Es rührt meist daher, dass die wenigsten von uns in unserer Kindheit oder Jugend erfahren haben, dass wir in Ordnung waren, wenn wir unglücklich waren oder ein Problem mit uns herumtrugen und Hilfe benötigten. Folglich fällt es somit den Eltern oft schwer, zu akzeptieren, wenn ihre Kinder Probleme haben und traurig, bedrückt oder gar wütend sind. Meist suchen die Eltern auch schnell die Schuld bei sich, ganz nach dem Motto: „Wir sind doch eine gute und normale Familie – und wir sind doch alle glücklich, was habe ich bloss falsch gemacht, dass mein Kind jetzt plötzlich dieses Problem hat?“ So kommt bei den Eltern schnell der Impuls  auf, das Problem zu banalisieren oder vom Problem ablenken zu versuchen. Wenn dies nicht gelingt, beginnen die Eltern schnell mit Lösungsfindungen – schnell, schnell muss eine Lösung her, damit das Kind wieder glücklich ist, damit das Problem, der Übeltäter, aus der Welt geschafft wird, damit wieder „Normalität“ in den Alltag kehrt und wir zur gewohnten Tagesordnung zurückkehren können.

Im Kurs kamen diese Aspekte den Eltern sehr bekannt vor. „Natürlich, ich versuche sofort für mein Kind eine Lösung zu finden. Ich arbeite ja auch im Beruf lösungsorientiert. Also kommt dieser Automatismus sofort auch in der Beziehung zu meinem Kind zum Tragen.“

Was wir jedoch damit unseren Kindern signalisieren ist, dass sie nur dann in Ordnung für uns sind, wenn sie „problemfrei“ sind. So fühlen sich unsere Kinder mit ihrem Problem alleingelassen, vielleicht versuchen sie, es selbst irgendwie im Alleingang zu lösen, fressen es in sich hinein oder sie verdrängen es – so gut sie eben können. Was dazu führt, dass sie ein Selbstkonzept entwickeln, welches sagt, dass es nicht in Ordnung ist, Mühe oder Probleme mit etwas zu haben. Sie trennen einen Teil ihres Erlebens und ihrer Gefühlswelt von sich ab. Im Extremfall entwickeln die Kinder körperliche Symptome wie Bauchschmerzen, Kopfweh, Übelkeit und ähnliches oder auch psychische Auffälligkeiten oder Störungen. Ihnen wird die Erfahrung verwehrt, sich anvertrauen zu dürfen, zu erleben, dass ihnen der Elternteil mit Interesse und Wohlwollen zuhört, ohne dass dieser jedoch das Problem gleich selbst übernimmt und zu lösen versucht. Die Erfahrung, dass jemand da ist, der das Kind „aushalten“ kann – auch wenn es Schwierigkeiten hat, und der das Kind darin unterstützt, das Problem zu einem geeigneten Zeitpunkt auf eigene Art und Weise anzugehen, fehlt vollkommen.

Was wir uns für unsere Kinder – und für uns selbst sicher ebenfalls – wünschen ist, dass ein Problem auch einfach einmal angenommen, gesehen und gewürdigt wird. Dass wir uns nicht anders – besser, souveräner, ausgeglichener, glücklicher, intelligenter oder kompetenter – fühlen müssen. Genau dies kann so heilsam sein. Das leuchtete meinen Kursteilnehmerinnen und Kursteilnehmern sofort ein. Auch im „Demonstrations-Gespräch“ mit einer Teilnehmerin, in welchem ich der Kursteilnehmerin „Aktiv-zugehört“ habe, hat sich gezeigt, wie gut es dieser Teilnehmerin tat, einfach nur ihr Problem schildern zu können, Platz dafür zu bekommen – für ihr Gefühl des Unvermögens, vom „einfach Anstehen mit diesem Problem“, des „Genervtseins“. Sie fühlte sich nicht gewertet, nicht beurteilt, ihr wurden keine Lösungen aufgedrückt, die gar nicht zu ihr und ihrer Familie passen, und sie fühlte sich nicht falsch mit diesem Problem.

Ein Kind, welchem wirklich zugehört wird, wenn es unglücklich ist und traurig, wütend oder hilflos, fühlt sich angenommen, willkommen und nicht falsch, nur weil es ein Problem hat. Es muss sich nicht besser fühlen als es sich in diesem Moment fühlt. Durch dieses Angenommensein lernt es, seine Gefühle zu benennen, sich mit seinem Erleben und mit seiner Gefühlswelt auseinanderzusetzten. Es lernt, sich selbst als Individuum kennen: „Ah, so bin ich auch. Jenes fällt mir schwerer. Anderes fällt mir leichter.“ Und wir unterstützen unser Kind, wenn wir ihm wertfrei aktiv zuhören, eigene individuelle Lösungen zu finden, welche für es selbst passend sind. Unser Kind gewinnt an Vertrauen und an Selbstwertgefühl. Und wir fördern die Empathie unseres Kindes, weil durch unser empathisches, wertschätzendes Vorleben diese Art der Begegnung vom Kind übernommen wird.

Buchtipp:
Familienkonferenz von Thomas Gordon, ISBN-10: 3-453-02984-4, Heyne-Verlag